Historie der ehemaligen ESDA-Strumpfwarenfabrik in Diedorf

Wachstum und Größe

Strümpfe, Strümpfe und noch mehr Strümpfe! Über 100 Jahre lang passierten täglich bis zu 2.200 Mitarbeiter die Pforte der Strumpffabrik in Diedorf, die an dieser Stelle stand. Wie kam es dazu – zur Entwicklung der ESDA-Strumpfwarenfabrik in Diedorf?

Sie entstand durch Zusammenlegung von Textilbetrieben der gesamten Region, die sich seit 1847, dem Beginn der Textilproduktion in Diedorf, entwickelt hatten: Edmund Montag z.B. baute 1892 in Wendehausen eine Lohnstrickerei auf, später kamen Filialen in Wanfried und Großburschla hinzu. Er beschäftigte 300 Menschen.

Hubert Mock begann 1897 in Diedorf mit sechs Mitarbeitern mit der Strumpfproduktion, er erweiterte 1914 nach Lippstadt. Um 1900 entstanden die Strumpffabriken der Max Segall AG im Küllstedt und Effelder.

Am ESDA-Standort Brunkelstraße 2 errichteten die Gebrüder Fischer im Jahr 1922 die heute denkmalgeschützte „Fabrikantenvilla“. 1924 kaufte der in Heyerode bereits produzierende Engelbert Laufer das Gebäude und erweiterte den Standort in den Folgejahren. 1933 baute er eine moderne Fabrik an die Fabrikantenvilla an und stattete diese mit englischen Strickmaschinen aus.

Engelbert Laufer profitierte in den 1930er Jahren von den geltenden Gesetzen, die es jüdischen Bürgern verbot, Unternehmen zu führen. Die Mühlhäuser Firma Hirsch musste daher ihre Fabrik für Damenoberbekleidung „preisgünstig“ an Engelbert Laufer verkaufen. Während der Kriegsjahre beschäftigte die Firma Laufer Zwangsarbeiter aus dem Osten. Die Zahl der Beschäftigten betrug bis zum Kriegsende 500 Arbeiter.

Am 03. April 1945 zogen amerikanische Truppen in Diedorf ein. Die Strumpffabrik wurde unter die Treuhand des Landes Thüringen gestellt und 1948 in Volkseigentum überführt als Vereinigung Volkseigener Betriebe (VVB) Trikot Limbach. Weitere Betriebe, darunter in Struth, Effelder und Küllstedt wurden an Diedorf angegliedert, später folgten Heiligenstadt, Wendehausen und Faulungen.

Die ESDA behielt ihren Ruf als führender Hersteller in der Region auch in der Planwirtschaft und wurde zu einem bedeutenden Exporteur in das nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet (NSW), z.B. in die BRD, nach Frankreich, Holland, Schweden, Finnland und Kuweit.

Mit der Erfindung der Kinderstrumpfhose 1955 und der Aufnahme der Produktion in den Folgejahren spezialisierte sich die ESDA auf die Produktion von Strumpfhosen. Die ESDA wurde zur Hochburg der Strumpfstrickerei und lockte viele Besucher aus der Sowjetunion und dem NSW an. Ihre neuesten Innovationen präsentierte sie dem internationalen Markt auf der Frühlings- und Herbstmesse in Leipzig.

Die Erfindung der Strumpfhose

1955 war Alfred Seipel Verkaufsleiter der Thüringer Strumpfwaren-fabrik in Diedorf. Als solcher erhielt er einen aufgeregten Brief einer verzweifelten Mutter eines wohl etwas zu gut „genährten“ Kindes: „Ihre langen Kinderstrümpfe sind oben zu eng. Das Fleisch von den Oberschenkeln quillt über die Strumpfbänder und sieht gar nicht schön aus. Des Weiteren müssen die Strümpfe mittels Knopf und Gummiband am Leibchen befestigt werden, was wiederum Probleme mit sich bringt. Können Sie die Strümpfe nicht oben weiter machen?“

Diesen Wunsch konnte Alfred Seipel der Dame nicht erfüllen. Doch ließ ihn das Problem nicht ruhen – und schließlich hatte er die entscheidende Idee: Die Strümpfe zur Hose zu machen. Gemeinsam mit Otto John entwickelte er die „Strumpf-Hose“ und die dazugehörige Technologie: Für kleine Kinderstrumpfhosen wurden nun die Strumpf-längen oben aufgeschnitten und die Schnittkanten vorn und hinten zusammengenäht.

Die Strumpfhosen für die Kinder ab sieben Jahren erhielten ein zusätzliches Gesäßteil, das am Hinterteil eingenäht wurde. Die Strumpfhose war geboren – das Patent wurde in Lizenz an viele Nutzer in Sachsen, ebenso an das Heiligenstädter Werk vergeben. Im Diedorfer Betrieb selbst entstanden von 1957 an bis 1989 rund 3,5 Millionen Kinderstumpfhosen.

Auszug aus einem Interview mit Ewald Holbein, Trift Moden Küllstedt vom 15.04.2003; siehe auch Ewald Holbein: Eichsfelder Textiltraditionen [Manuskript Mai 2003]

Strumpfkombinat und Olympischen Spiele

Kinder- und Frauenstrümpfe, Herrensocken, Fausthandschuhe, Fingerhandschuhe und Obertrikotagen auf Handstrickmaschinen wurden in Diedorf überaus erfolgreich produziert. Im Jahr 1970 wurde der Betrieb in das ein Jahr zuvor gegründete „VEB Strumpfkombinat ESDA Thalheim“ eingegliedert, erstmals wurden am Standort mehr als 10 Millionen Strumpfwaren produziert.

Zwischen 1960 und 1980 investierte das Kombinat in zahlreiche Neubauten und weitete die Produktion weiter aus.

1988 produzierte der ESDA-Betrieb „VEB Thüringer Strumpfwaren in Diedorf 31 Millionen Strumpfwaren.

Die breite Angebotspalette sicherte den Thüringer Strumpfwerkern die Berufung zum Ausstatter der DDR-Mannschaft zu den Olympischen Spielen 1988 in Seoul.

Herzblut

Die ESDA war das Herzstück der Gemeinschaft in Diedorf. Mit 600 Diedorfer Mitarbeitern, die die Hälfte der Einwohner Diedorfs ausmachten, war sie buchstäblich wie eine Familie. Neben der Betriebsversorgung kümmerte sich die Kantine der ESDA auch um die Schulspeisung und die Kampfgruppe.

Aufgrund der Grenzlage war das kulturelle Angebot in Diedorf begrenzt. Die ESDA füllte diese Lücke, indem sie regelmäßig kulturelle Veranstaltungen und gemeinsame Feiern für Mitarbeiter und ihre Familien organisierte, die allerdings als politischer Schauplatz genutzt worden.

Brüche

Mit dem Wegfall der sowjetischen Aufträge während der Wendezeit brach für die Thüringer Strümpfe GmbH eine schwierige Phase an. Trotz zahlreicher Entlassungen und drohender Schließung hielt das Unternehmen in stark reduzierter Besetzung in Diedorf unter dem neuen Namen durch Lohnaufträge für bekannte westdeutsche Marken wie Falke oder Kunert stand.

Ein glücklicher Kontakt auf der Leipziger Messe rettete vorübergehend, als der ROGO-Strumpfhersteller das Unternehmen 1993 mit zu dem Zeitpunkt noch 70 Mitarbeitern übernahm. Doch die Verlagerung der Textilindustrie vor dem Hintergrund der Globalisierung zwang die ROGO Thüringer Strümpfe Produktions GmbH 2008 zur endgültigen Schließung.

Die Bemühungen zur Weiterführung in einer Beschäftigungsgesellschaft (ProMo) verliefen erfolglos, das ESDA-Gelände fiel brach.

Wiederbelebung

Im Jahr 2009 begann der Wandel auf dem ESDA-Areal mit der Entwicklung eines Wohnungsbaustandortes zur Revitalisierung des südwestlichen Teils der brachliegenden Fläche. Die Gemeinde stellte dafür den Bebauungsplan Mischgebiet „Wiesengrund Diedorf“ auf. Das Projekt wurde in das Dorferneuerungsprogramm für die Jahre 2014 bis 2019 aufgenommen und die Idee vom „Neuen Leben in der alten Strumpffabrik" entstand. Die Firma HABÖ u.a. siedelten sich in der Nachbarschaft zum neuen Wohnungsbaustandort an – ein großer Erfolg!

Dr. Heiko Tierling kaufte 2015 den nördlichen Teil des ESDA-Geländes und gründete 2016 einen regionalen Altenpflegedienst. 2017 endete die erste Projektentwicklung erfolglos. Im selben Jahr wurden Landrat Harald Zanker und Bürgermeister Andreas Henning Projektpaten. 2018 begann die zweite Projektentwicklung, die LEG Thüringen erstellte ein Sanierungskonzept. Gemeinsam mit dem Architekturbüro Göbel wurde das Ziel der Sanierung der Fabrikantenvilla an der Brunkelstraße als Auftaktprojekt untersucht. 2019 erfolgte die Neuausrichtung der Projektentwicklung auf die ESDA-Kantine und das Sozialgebäude, mehrere Gebäude wurden unter Denkmalschutz gestellt.

2020 fand im Beisein von Ministerpräsident Bodo Ramelow der Spatenstich für einen Neubau mit 14 Wohnungen statt. Parallel dazu wurde der Speisesaal zum Veranstaltungsort entwickelt und denkmalpflegerisch saniert. Dafür erhielt Dr. Heiko Tierling 2023 den Thüringischen Denkmalschutzpreis.

In den kommenden Jahren sind die Sanierung und Umnutzung weiterer Gebäude des ESDA-Areals geplant. Die Projektentwicklung dafür läuft.